Action

[Review] Okami HD – Nostalgie, die alles richtig macht

Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich mir damals nur deswegen eine PlayStation 2 gekauft habe, um Okami spielen zu können. Damals war ich – wie heute – nicht nur ein großer Fan des Wolfs, sondern vor allem absolut japanophil: Ich habe alles in mich aufgesogen, was ich zu japanischer Kultur finden konnte. Heute schafft es Okami HD voll und ganz, mir diese unendliche Faszination zurückzubringen.


Okami HD

Genre: Action, Adventure
Plattform: PlayStation 4, PC [Steam]
Erscheinungsdatum: 12. Dezember 2017
Entwickler: Clover Studio
Publisher: CAPCOM
Sprache: Deutsch, Englisch [Schrift]
Preis: 19,99€

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Auf den Spuren des Shinto

Hundert Jahre, nachdem der große Held Nagi an der Seite des weißen Wolfes Shiranui den bösen Lindwurm Orochi besiegt hat, erwacht unsere Protagonistin Amaterasu aus ihrem ewigen Schlaf als Steinstatue. Bald erfahren wir, dass sie die Wiedergeburt des Wächterwolfes Shiranui ist, und erweckt wurde, weil Orochis Rückkehr naht. Gemeinsam mit unserem treuen Begleiter Issun, dem kleinsten Mann der Welt, und mit der Unterstützung der Kirschbaum-Göttin Sakuya machen wir uns also auf, den Stand unserer einstigen, göttlichen Kraft wiederherzustellen, um uns dem Lindwurm erneut zu stellen. Und dann ist da auch noch Susanoo, der Möchtegern-Held, der in humoristischer Mr.-Satan-Manier eigentlich überhaupt nichts kann, aber dennoch in die Fußstapfen seines Vorfahren Nagi treffen möchte. Ob er uns dabei nun eine Hilfe, oder doch mehr ein Klotz am Bein ist, müsst ihr selbst herausfinden.

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© CAPCOM

Das Schöne an Okami ist, dass so viele unzählige Mythen und Legenden der japanischen Kultur und Religion in diesem Spiel verschmelzen. Man braucht noch nicht einmal Vorwissen Japans Kultur zu haben, um zu erkennen, wie stark „japanisch“ Okami tatsächlich gefärbt ist: Samurai, Kimonos, die aufgehende Sonne, Kirschblüten, der Fuji, Sake und Reisbällchen. Man könnte fast sagen, dieses Spiel beinhaltet all die kleinen ikonischen Dinge, die wir Menschen aus dem Westen für beispielhaft an der japanischen Kultur erachten. Wer sich aber noch ein bisschen tiefer in die Materie begibt, wer sich etwas mit der japanischen Religion, dem Shintoismus, oder einfach der japanischen Kultur auskennt, der kann noch mehr Spannendes erfahren. So handelt es sich beispielsweise bei der Legende um Orochi tatsächlich um einen Mythos der japanischen Geschichte. „Yamata no Orochi“ (wörtl. „die achtgabelige Riesenschlange“) ist ein 8-köpfiger und 8-schwänziger Drache der japanischen Mythologie, der tatsächlich von einem Helden Susanoo getötet wurde. Susanoo ist jedoch der verräterische Shintogott des Sturms, der seine Schwester, Sonnengöttin Amaterasu, ausgetrickst hat und zur Straffe aus dem Götterhimmel auf die Erde verbannt wurde. So steht es in der Kojiki, dem ältesten erhaltenen Schriftstück der japanischen Sprache, geschrieben.

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© CAPCOM

Amaterasu hat in Orochis Legende also eigentlich nur eine Nebenrolle – umso spannender ist es, wie die Entwickler die Beziehung der beiden Charaktere im Laufe des Spiels umsetzen.


Im Kampf gegen das Böse

Orochis Wiederauferstehung naht und seine Schergen sind weit über das Land Nippon verstreut: Dämonen, die ganze Landstriche in Besitz nehmen und verderben, und die Wächtersprösslinge der Kirschbaum-Göttin Sakuya verdorren lassen, deren Aufgabe es war, über das Land zu wachen und es fruchtbar werden zu lassen. Während wir also versuchen, die Verderbnis zu vertreiben und die Wächtersprösslinge zu befreien, sammeln wir immer mehr Teilstücke unserer Macht ein, die der Wölfin Amaterasu bei der Wiedergeburt zur Sonnengöttin verloren gegangen sind. Sie beherrscht nämlich die Macht des göttlichen Pinsels, der es ihr erlaubt, die Realität mit Hilfe der Kalligrafie nach ihrem Willen zu beugen. Für uns bedeutet das, dass wir mit dem göttlichen Pinsel Dinge zerschneiden, zum wachsen bringen, erschaffen und verändern können, um im Spiel die unterschiedlichsten Rätsel in regelrechter Zelda-Manier zu lösen.

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© CAPCOM

In dem eben gezeigten Bild schneiden wir uns beispielsweise mit einer Linie den Weg durch ein Holztor frei, um weiterzukommen. Dabei müssen wir darauf achten, dass wir immer genug Tinte haben, denn andernfalls können wir logischerweise nichts mehr zeichnen. Tinte lädt sich mit der Zeit von selbst wiederauf oder lässt sich durch Tintenfässchen auffüllen, die wir unterwegs looten. Wichtig ist die Tintenfässchen-Anzeige am linken oberen Bildschirmrand also hauptsächlich im Kampf, denn dort können wir unsere künstlerischen Fähigkeiten auch zur Selbstverteidigung anwenden. Lösen wir Aufgaben oder erfüllen wir Quests, die uns die Bewohner von Nippon geben, erhalten wir die Ressource „Glück“, die wir wie Erfahrungspunkte dazu einsetzen können, unseren Tinten-Vorrat zu erhöhen. Wir können „Glück“ aber auch dazu verwenden, andere Werte wie beispielsweise Amateratus Sonnen-Energie, die in etwa ihre Lebenspunkte anzeigt, dauerhaft zu erhöhen.

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Die Welt und die Anordnung der Quests fühlt sich dabei an wie ein früher Vorläufer des Open-World-Sytems: Mit der Zeit schalten wir immer mehr Areale der überraschend großen Karte frei und nehmen die verschiedensten Quests an, die wir in beliebiger Reihenfolge erledigen können. Oftmals lassen sich bestimmte Rätsel nur mit besonderen Pinselkräften lösen, die wir erst später im Spiel erhalten. Die Hauptquest wird uns nicht immer gleich angezeigt, denn Sakuyas Auftrag scheint von Anfang an klar zu sein, alles andere liegt schließlich bei uns. Die Nebenquests fühlen sich nicht repetitiv, sondern erfrischend und innovativ an, auch wenn die Schwierigkeit der Rätsel in manchen Fällen etwas höher hätte ausfallen können. Tatsächlich scheint sich das Gameplay stark an den The-Legend-of-Zelda-Teilen zu orientieren, was kein Wunder ist, schließlich ist Okamis Direktor, Hideki Kamiya, bekennender Zelda-Fan.


Das Kampf-System: Immer mal was Neues

Während wir das Land also von Orochis dämonischem Einfluss befreien und Menschen helfen, ihr Leben wieder auf Reihe zu bekommen, lernen wir immer neue Pinseltechniken dazu, erhalten aber auch in und wieder neue, göttliche Waffen, mit denen wir unseren Gegnern so richtig einheizen können. Wenn uns die Dämonen nicht gerade im Laufe einer Quest überfallen, dann schweben sie als riesige grüne Schriftrolle über das Land und greifen nur an, wenn wir uns ihnen nähern, oder sie besetzen sogenannte „Dämonentore“, die über das Land verstreut sind, und durch die wir hindurch schreiten müssen, um einen Kampf zu triggern. Der Kampf selbst findet in beiden Fällen an Ort und Stelle innerhalb eines abgegrenzten Areals statt, aus dem wir nur fliehen können, wenn wir einen Riss in der dämonischen Materie finden, die die Wand um das Areal bildet, und diesen angreifen. Ansonsten sind wir mit unseren Gegnern gefangen.

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Im Laufe des Spiels werden wir auf die unterschiedlichsten Arten von Dämonen treffen. Diese unterscheiden sich häufig durch die Art und Weise, wie sie am leichtesten zu besiegen sind – sprich: Jede Art von Dämon hat ihre eigenen Schwachstellen, die zwar nicht immer, aber doch die meiste Zeit mit dem Stand unserer Pinsel-Fähigkeiten zusammen hängen, sodass sich viele von ihnen nur durch den göttlichen Pinsel bezwingen lassen. Egal ob von hinten, indem wir ihr Schild mit dem Pinsel wegschneiden, indem wir ihren Rücken aufblühen lassen müssen, oder indem wir ihr Feuer löschen müssen: Mit steigendem Fortschritt im Spiel steigt auch die Schwierigkeit und die Komplexität im Kampf, sodass es irgendwann gar nicht mehr so leicht ist, sich auf mehrere Gegner gleichzeitig zu konzentrieren. Besonders dann, wenn wir verschiedene Arten von Gegnern besiegen müssen, die alle auf unterschiedliche Weise funktionieren. Trotzdem wird auf diese Weise das Kampfsystem, dass sich ohne diese Pinsel-Mechanik recht schnell sehr repetitiv angefühlt hätte, unglaublich abwechslungsreich und verlangt bad die komplette Aufmerksamkeit des Spielers.

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Ein gutes Action-Spiel braucht natürlich auch epische Bosskämpfe – und selbst davon hat Okami mehr als genug. Allein die oben abgebildete Spinnen-Königin lässt einem das Blut zu Eis gefrieren, wenn man ihr das erste Mal begegnet. Ebenso wie die restlichen Dämonen haben alle Bosse ihre Schwachstellen, die sich allerdings recht schnell und ohne Probleme herausfinden lassen: Oftmals springen sie einem geradezu ins Gesicht, wie die seltsamen Haken am Rücken der Spinnen-Königin, die mit einem ganz bestimmten Skill zu verbinden sind, den wir gerade eben erst beim Durchforsten des Dungeons gelernt haben. Hat man erst einmal raus, wie ein Boss zu bekämpfen ist, stellt er in der Regel keine große Herausforderung dar – und da es keine unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade gibt, gibt es auch keine Möglichkeit, sich den Kampf selbst etwas zu erschweren. Für Casual-Spieler ist das natürlich perfekt, wer jedoch eine noch größere Herausforderung sucht, könnte enttäuscht werden.

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Auf unseren Reisen finden wir zudem manchmal „Knochen“, die uns beim Verzehr im Kampf besondere Boni verleihen. Mit diesen lässt sich der letztliche Ausgang eines Kampfes sogar noch etwas genauer selbst bestimmen. Denn schaffen wir es, unsere Gegner in vorbildlicher Zeit und ohne Schaden zu nehmen zu besiegen, erhalten wir am Ende des Kampfes die doppelte Belohnung an Yen-Münzen, mit denen wir weitere Ausrüstung oder Kampf-Skills im Dojo kaufen können, um unsere Gameplay-Erfahrung noch zu erweitern.


Die Liebe zum Detail

Okami strotzt einfach vor Liebe zum Detail. Angefangen von der Cell-Shading-Grafik, für die das Spiel berühmt geworden ist, weil es einen Tusche-Zeichenstil namens „sumi-e“ emuliert, bis hin zu den kleinsten Grafikdetails der Kirschblüten ist dieses Spiel einfach unfassbar schön anzuschauen. Die kleinen Nebenaufgaben, bei denen man beispielsweise Nippons Tiere mit dem richtigen Futter füttern muss, um Glück zu erhalten, oder die Schätze, die man im Land verteilt findet und die alle eine eigene Beschreibung haben: In Okami gibt es unfassbar viel zu entdecken und selbst, wenn man sich in der halb-offenen Welt mal verloren fühlt, so gibt es doch immer irgendwo irgendwas, das das Interesse in einem weckt und die Faszination sprießen lässt. Die HD-Version des Klassikers von 2006 lässt dabei die bereits 12 Jahre alte Grafik in neuem, ungeahnten Glanz erstrahlen. Ich erinnere mich noch daran, dass mir die Cell-Shading-Grafik im Original manchmal Probleme machte, bestimmte Details im Schatten zu erkennen, besonders, wenn es sich um kleine Gegenstände handelte. Mit der 4K-optimierten Grafik auf der PS4 ist von diesem Problem nichts mehr zu merken: Die Kanten sind glatt, die Farben sind frisch und neu und es sieht noch viel besser aus, als je zuvor. Es war einfach ein absolutes Gedicht, nach all den Jahren nach Nippon und zu Okami zurückzukehren, und zu sehen, dass sich nichts verändert hat – und dass dieses Spiel den Gameplay-Standards von heute mit seinen 50-60 Stunden, vollgepackt mit Inhalt, locker die Stirn bieten kann.

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Wertung 

Ich kann Okami HD eigentlich so gut wie jedem Spieler empfehlen. Egal, ob man nun ein riesiger Fan der The-Legend-of-Zelda-Reihe ist, ob man eine Faszination für Japan und seine Mythologie hat, oder ob man einfach nur auf der Suche nach einem spannenden, spielstunden-reichen Action-Adventure hat: Okami ist für mich absolut erste Wahl in all diesen Bereichen. Die magische, wunderschöne Welt, ein feinfühliger Humor, eine spannende Geschichte ohne langweilige, repetitive Nebenquests, ein anspruchsvolles Kampfsystem und ausgeklügelte Rätsel, die mit dem Gameplay-Element des göttlichen Pinsels wahr werden – dieses Spiel funktioniert im Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren, die miteinander absolut im Einklang stehen. Manche Bosskämpfe waren mir im Verlauf der 50-stündigen Spielzeit zu leicht, manche kamen auch ohne besonderen Grund mehrfach vor, doch das ist auch schon alles, was ich an diesem Spiel bemängeln kann. Capcom zeigt mit Okami, wie der HD-Remake eines Klassikers auszusehen hat, und schafft eine wunderschöne, scharfkantige und vor allem bugfreie Erfahrung für jeden Spieler – egal, ob er das erste oder das hundertste Mal in die Welt von Nippon eintaucht. Absolut spielenswert!


Wertung: 98%

METACRITIC: 88%

+ spannende Story aus der Shinto-Mythologie
+ Zelda-vergleichbares Gameplay
+ innovative Rätsel
+ göttlicher Pinsel als zentrales Gameplay-Element
+ abwechslungsreiches Kampfsystem
+ atemberaubende Cell-Shading-Grafik im Tusche-Stil
+ feinfühliger Humor
+ 50-60 Stunden Spielzeit
+ Soundtrack nach traditionell japanischer Musik


– Rätsel z.T. zu leicht
– Bosskämpfe z.T. zu leicht
– manche Bosskämpfe wiederholen sich

 

Ich danke dem Team von CAPCOM für die Möglichkeit, Okami HD offiziell testen zu dürfen!

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