Adventure

[Review] Life is Strange: Before the Storm – Kann einfach nicht mithalten

Wer mich schon eine Weile verfolgt, der kennt die beiden Reviews vielleicht bereits, die ich zu den ersten beiden Episoden des Life is Strange Prequels verfasst habe. Episode 3 hat es sogar geschafft, meine Meinung zu diesem Spiel noch weiter in den Keller sinken zu lassen. Meine ausführliche Begründung findet ihr hier.


Life is Strange: Before the Storm

Genre: Adventure, storybased
Plattform: PC [Steam, GoG.com], PlayStation 4, Xbox One
Erscheinungsdatum: 31. August 2017
Entwickler: Deck Nine Games
Publisher: Square Enix
Sprache: Deutsch [Schrift], Englisch [Sprachausgabe]
Preis: 49,99€

Hier geht’s zum Spiel…


Kurz, lieblos, unschlüssig

Als Deck Nine die Entwicklung des Prequels übernahm, war ich zunächst skeptisch. ‚Never change a runnig system‘ hat sich einfach schon zu oft bewährt, als dass ich diesen Gedanken nicht weiterhin haben könnte. Als ich dann hörte, dass die Entwickler des ersten Teils, DontNod, bei der Story noch immer ihre Finger im Spiel haben sollten, atmete ich auf – nur um dann erst Recht enttäuscht zu werden. Schuld ist nicht etwa die Story an sich, sondern der Kontext, in dem sie steht. Wir dürfen nicht vergessen: Life is Strange war (und ist noch immer) ein absoluter Publikumsliebling. Die Erwartungen, die dieses Spiel an seine möglichen Nachfolger stellen lässt, überschlagen sich geradezu. Fantheorien, -videos, -fictions und -fortsetzungen überschwemmen das Internet und bilden eine Fundgrube für spannende Wendungen und gute Ideen.

Deck Nine und Square Enix hatten die Chance, etwas ganz Großes zu schaffen, ungeklärte Fragen zu beantworten, ihre Spieler so sprachlos zu machen, wie sie es beim ersten Teil geschafft haben – und was wurde daraus? Ein abgestumpftes Teen-Drama, das nichts, aber auch gar nichts mit dem Life is Strange zu tun hat, das wir kennen, außer, dass es sich die selben Charaktere teilt. Statt der gewohnten fünf Episoden erhalten wir insgesamt drei; und die fehlende Zeit kommt der Story teuer zu stehen. Meiner Meinung nach wirkt sie nicht nur absolut lieblos und wenig ausgefeilt, sie knüpft auch nicht direkt an die Geschehnisse des Originalspiels an (dies könnte sich in der Bonusepisode ändern, die in den kommenden Monaten veröffentlicht wird. Diese war jedoch nur in der Deluxe-Edition des Spiels zu haben und sollte daher eigentlich nicht wesentlich sein, um die Story zu einem Abschluss zu bringen). Viele Fragen bleiben ungeklärt: Wie kamen sich Rachel und Frank näher? Wieso hat sich ihre Beziehung zu Chloe wieder so stark gekittet, dass Chloe in Betracht zieht, sie könnte wortlos abgehauen sein? Was passiert NACH unserer finalen Entscheidung in Before the Storm?

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© Square Enix, Deck Nine


Der Spieler: Puppenspieler oder Marionette?

Letztere Frage bezieht sich auf eine der wohl enttäuschendsten Seiten des Spiels: Unsere Entscheidungen haben so gut wie keinen Einfluss auf die Geschichte. Gut, vielleicht liegt einmal ein Charakter im Krankenhaus, bei einem anderen Spieler ist es ein anderer, aber was ich meine ist: Die meisten Entscheidungen fühlen sich vollkommen belanglos an. Leere ich meine Tasche aus – ja oder nein? Bin ich nett zu David, Chloes angehendem Stiefvater oder nicht? Im Grunde wird diese Entscheidung nicht verändern, dass Chloe im originalen Life is Strange noch immer ein mieses Verhältnis zu David hat, egal ob wir versuchen einzulenken oder nicht. Es spielt auch für das Ende des Spiels keine Rolle, sondern es ist lediglich aus cinematischen Gründen von Wichtigkeit. Der Spieler kann sozusagen entscheiden, wie der Film zu laufen hat, darf dabei aber nur in die Nuancen eingreifen, denn der Hauptweg der Geschichte steht so fest im Code des Spiels geschrieben, dass es keinen anderen Weg gibt, als ihm zu folgen. In der letzten Episode gibt es sogar nur eine einzige (!) Entscheidung zu treffen und die Auswirkungen derselben werden im Vorfeld zwar groß aufgebauscht – das Ergebnis wird dann jedoch in der letzten Videosequenz in lieblosen 3 Sekunden und ein paar lieblosen Bildern abgehandelt, bevor die generischen Videoszenen eingespielt werden, die wir sowieso zu sehen bekommen hätten, egal wie wir uns entscheiden. Schon das „große Finale“ fühlte sich unfassbar schwach an. Letztlich müssen wir einfach tatenlos zusehen, wie die große Konfrontation in wenigen, gerushten Minuten an uns vorbeifliegt, bis Chloe einfach in Ohnmacht fällt und alles potentiell spannende im schwarzen Bildschirm verloren geht. Im anschließenden, klärenden Dialog erhalten wir nicht einmal die Chance, irgendetwas von dem zu verändern, was passiert (oder nicht passiert). Die ganze letzte Episode ist einfach nur unbefriedigend von vorne bis hinten.

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© Square Enix, Deck Nine

Großartig anders war es im ersten Teil mit den Entscheidungen zwar auch nicht, der Unterschied war jedoch, dass einem die Entscheidungen zumindest das Gefühl vermittelten, wirklich etwas zu verändern. (Spoiler) Frank kann beispielsweise sterben, wenn man sich an einer Stelle falsch entscheidet. Und nicht nur der. (Spoiler Ende). Derartige Entscheidungen gibt es nicht, denn letztlich gibt das Originalspiel das Ende des Prequels vor: Rachel verschwindet, die Beziehung zu David bleibt so schlecht wie sie ist und Max kehrt zurück. Egal wie wir uns entscheiden, Rachel wird doch immer wieder einfach aus Chloes Leben verschwinden – und das ist der Grund, warum sich die Beziehung zu ihr und die Entscheidungen, die wir für sie treffen, so schrecklich wirkungslos anfühlen.


0-8-15 Teenie-Drama?

Dies lag nicht zuletzt auch an der schrecklich theatralischen Geschichte rund um Rachel – und ja, diese Geschichte dreht sich nur um Rachel, Chloe funktioniert hier bloß als ihr armes, manipuliertes Werkzeug -, die sich aufführt, als wäre sie der Mittelpunkt der Welt und als hätte sie den größten Schmerz von allen zu tragen. Verwöhnt, geliebt und niemals in Not ist Rachel meiner Meinung nach nichts weiter als eine verzogene Göre, die all die Menschen um sie herum ausnutzt, ihnen Energie absaugt, um sich selbst im eigenen Antlitz zu sonnen. Ihre Beziehung zu Chloe wird innerhalb weniger Tage so eng, dass die beiden sich verhalten, als würden sie sich bereits seit Jahren kennen und Chloe ist gedankenlos sofort bereit, nach nur einem verbrachten Tag mit ihr alles aufs Spiel zu setzen: Ihr Leben, ihre Zukunft, ihre Freunde. Wirklich? Ich meine, ich weiß Chloe braucht dringend eine Freundin, die Max Part übernehmen kann, aber… nun gut. Wir haben ja auch nur 3 (!) Episoden Zeit, dann machen das eben alles im Schnelldurchlauf. Die kurze Hauptgeschichte, die sich übrigens in drei Sätzen zusammenfassen lässt, wird von den gewohnt entspannten Szenen gestreckt, in denen man belanglose Dinge tut wie sich im Zimmer genau umsehen, einen Schrottplatz durchsuchen, ein Auto reparieren oder minutenlang auf einer Bank zu sitzen und den eigenen Gedanken zuzuhören. Alles schön und gut – diese Sachen gehören bereits seit dem ersten Teil zu Life is Strange dazu und bieten in der Regel eine angenehme Pause zum sonstigen Spielgeschehen. Doch in Before the Storm fühlen sich die Dinge nutzlos und sinnbefreit an, so als seien sie eigentlich nur dazu da, jede einzelne Episode auf ein Mindestmaß an Spielminuten zu strecken. Wo eine spannende Story, sympathische Charaktere, schöne Rätsel, ein Zeitreise-Feature und gewichtige Entscheidungen fehlen, muss man eben schauen, wie man ausreichend Screentime generiert.

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© Square Enix, Deck Nine


Die Charaktere: Puppenspieler und Marionette

Meinen Unmut über Rachels Charakter habe ich bereits kund gegeben, über sie brauche ich also nicht mehr viel zu sagen, außer, dass sie meine Erwartungen schrecklich enttäuscht hat. Wer sich im orignalen Life is Strange gut umhört, findet schnell heraus, was für ein herausragender und wichtiger Charakter Rachel für ihre Umgebung war. An einer Stelle nennt Chloe Rachel ihren „Engel“. Außer Victoria Chase hat niemand ein böses Wort über sie verloren – und dann entpuppt sie sich als egozentrische Ziege, die gleich ihr ganzes Leben schmeißen will, weil mal etwas nicht so läuft wie sie dachte. Weil Teenager Sein halt eben manchmal weh tut. Frag mal Chloe, Rachel. Sie hat ihren Vater verloren. Sie trauert. Frag sie mal.

Apropos Chloe. In diesem Abenteuer steuern wir Chloe und ich muss gestehen, ich liebe sie wirklich, einfach weil sie so ein verletzliches Küken ist, das eigentlich nur jemanden braucht, der sie leitet – der die Rolle ihres Vaters übernimmt, das Loch füllt, das er hinterlassen hat. Ich verstehe also den Grund für ihre Charakterschwäche und ihre Hingezogenheit zu Rachel. Doch ihr dabei zuzusehen, wie sie alles für dieses Mädchen tut, dass sie gerade mal drei Tage kennt, bricht mir geradezu das Herz – vor allem, weil ich der blöden Kuh nicht mal richtig kontra geben darf. In einem Spiel, das so mit den Entscheidungen wirbt, muss ich zusehen, wie sie in Rachels Schatten stecken bleibt und ich weiß nach Abschluss der drei Episoden ganz ehrlich nicht, wie sich Chloe auf diese Weise zu dem starken, sturen Mädchen entwickeln konnte, das sie im Original verkörpert. In Before the Storm ist sie ein schwächlicher Ja-Sager, die nicht einmal ihrem Verehrer – Warren 2.0. (Oh, Gott, warum? Deck Nine, warum?!) – sagen kann, dass sie nichts von ihm will und er sie in Ruhe lassen soll. Die richtige Chloe hätte ihm eine vor die Stirn geschnippt und hätte ihm gesagt, dass er sich ein anderes Mädchen suchen soll. Vielleicht ist Chloe nach all den Jahren mit Max einfach viel zu sehr wie ihre ehemalige beste Freundin.

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© Square Enix, Deck Nine

Eine vertane Chance des Spiels ist übrigens die Gestaltung des Bösewichts. Der große, böse Drogen-Baron mit dem Hang zur Gewalt hatte absolut großes Potential ein richtig fieser, gänsehautverursachender Villain zu werden und fristete sein Dasein zwischen den viel zu lang gezogenen weinerlichen Rachel-Szenen und seinem plötzlichen Verschwinden im Blackscreen. Keine Informationen darüber wer dieser Typ eigentlich genau ist, welche Intentionen er hat, wo er herkommt, wie genau er zu seinem Kumpel Frank steht. In ca. 12 Stunden Spielzeit hat er vielleicht 30 Minuten Screentime. Zu einer richtigen Konfrontation kommt es nie, denn Chloe muss ja in Ohnmacht fallen  und uns dieser Chance berauben. Dieser ganze Typ ist ein Witz, ein Instrument, kein ernstzunehmender Charakter. Erinnern wir uns an den Bösewicht des Originals: Die besten Bösewichte sind diejenigen, die man am wenigsten erwartet hat – und zu denen man als Spieler eine gewisse Beziehung aufgebaut hat. Nicht irgendein fieser Rambo.

Wieso hätte es nicht einfach die zeitreisende Rachel sein können, die ich mir so dringend gewünscht habe?


Alles hat seine guten Seiten

Life is Strange: Before the Storm hatte großes Potential einfach nur wahnsinnig gut zu werden. Dieses Potential steckt, wie schon im Vorgänger, in seiner Detailverliebtheit, dem richtigen Gespür für ganz große Emotionen und dem absolut bombastischen Soundtrack. Wir bewegen uns mit Chloe auf vertrauten Pfaden: Der Blackwell-Schule, Chloes Zuhause, dem Schrottplatz und entdecken zwischen all dem vertrauten immer wieder neuer Aspekte. Genauso geht es uns mit den Nebencharakteren: Nathan, Victoria, David, … all diese tauchen wieder auf, als ein jüngeres, unschuldigeres Selbst und überraschen den Spieler auf ihre ganz eigene Weise. Man kann stundenlang damit verbringen, die Orte nach kleinsten Details und lustigen Chloe-Kommentaren abzusuchen und wird sich dabei trotzdem niemals langweilen. Eigentlich sind diese Phasen des Spiels das viel größere Spieler-Glück als die eigentlich wesentlichen Events der Hauptstory, denn hier bleibt der Spieler ganz sich selbst überlassen, entscheidet wo er hingeht und wie viel Zeit er sich lässt. Einfach auf einer Bank zu sitzen und dem wunderschönen Indie-Folk (meine liebste Musikrichtung!) der Band „Daughter“ zu lauschen kann eine geradezu meditative Wirkung entfalten. Sich im Detail zu verlieren, kleinste Hinweise wie die Kondome in der Nachttischschublade und Chloes Reaktion darauf zu entdecken und zu beobachten ist einfach tausend mal reizvoller, als sich für Rachel in die Bresche zu werfen.

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© Square Enix, Deck Nine


Wertung

Für mich ist Life is Strange: Before the Storm kein echtes Life is Strange. Dafür reicht es in puncto Story, Charakterentwicklung und Entscheidungsschwere einfach nicht an seinen Vorgänger heran. Die Charaktere mögen zwar die selben sein, doch man hätte sie genauso gut auch gegen vollkommen andere Charaktere austauschen können und das Spiel hätte immer noch den selben Sinn gemacht. Doch dann hätte es vielleicht nicht unbegründet tausende von guten Bewertungen auf Steam gehagelt, denn schließlich wären es dann nicht mehr die geliebte Chloe Price und ihr Engel Rachel. Ich kann mir die absolut positive Resonanz in der Presse einfach nicht anders erklären als dadurch, dass Life is Strange inzwischen einfach solchen Kultstatus hat; und dass man im Fandom gerne Mal über so manche Schwächen (in Sachen Gameplay und Story) hinwegsehen kann, wenn man dafür bloß mehr Zeit mit seinen liebsten Charakteren verbringen darf (schließlich geht es mir bei anderen Franchises wir Dragon Age oder Die Sims ganz genau so). Doch seien wir mal ehrlich: Die Geschichte, die Before the Storm erzählt kann losgelößt vom Sturm, von Max und von Arcadia Bay genauso funktionieren – nur wäre es dann nur einfach nicht mehr gut. Denn ungesunde Freundschaften, unzufriedene Teenager, Drogen und Drama gibt es (nicht nur im echten Leben) längst genug. Die Geschichte, die Life is Strange erzählt hat, ist und bleibt jedoch einmalig.


Wertung: 60%

Metacritic: 71%

+ Wiedersehen mit altbekannten Charakteren
+ Knackige Dialoge
+ Große Detailverliebtheit
+ spannendes Konfrontationsfeature
+ liebevolle Gestaltung
+ toller Soundtrack
+ D&D Spieleinlage


– keine innovative Story (Teenie-Drama)
– Verpuffter Story-Höhepunkt
– Entscheidungen keine großen Auswirkungen (sehr linear)
– schwache, unsympathische Charaktere (Rachel, Bösewicht, etc.)
– Rätsel zu leicht

1 reply »

  1. Zuerst einmal: Wow das ist mega gut geschrieben 😄👍
    Also ich kann dir in einigen Punkten zustimmen – besonders wegen Rachel. Ich mochte sie auch nicht wirklich und die ganze Freundschaft kam genau so surreal rüber wie Chloe es auch immer wieder gedacht hat.
    Das es „nur“ 3 Episoden waren da können wir ja eigentlich sogar froh sein, weil es immerhin nur ein DLC ist und kein eigenständiges Spiel wie es Life is Strange 2 wird (ich weiß, es kommen andere Charaktere^^) somit finde ich 3 Episoden + Bonus sogar viel.
    Mir hat das Meiste sehr gut gefallen und ich persönlich kann nicht über das Spiel meckern 🙂
    Ich denke es ging eher darum Rachel zu präsentieren – die wir ja überhaupt nicht kannten – aber auch ich hätte mir mehr Infos gewünscht zu Rachel/Frank und generell Chloes Wandel. Ein Zeitsprung in Episode 3 wäre vielleicht eine Idee gewesen. Gerne hätte ich auch die Sache mit Mr. Jefferson mitbekommen. Die Post-Credits Scene war dann doch irgendwo schockierend.
    LG Kira 🌹

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